Gedanken und Hinweise für die zukünftige Erbrechtsberatung

Autor: Dr. K. Jan Schiffer, RA und Zert. Testamentsvollstrecker (AGT)
Fundstelle: AnwZert ErbR 1/2021 Anm. 1

Datum: 22.01.2021

Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die aktuellen C-Zeiten lassen uns über vieles nachdenken. Die C-Zeiten und noch mehr wohl der Klimawandel
mit seinen Folgen zeigen uns, dass unsere bisherigen Regeln und Vorgehensweisen zwar noch
existieren, wir aber gut daran tun, zu überprüfen, ob sie für die aktuellen und künftigen Anforderungen
jeweils noch passen. Heute möchte ich deshalb einen Blick auf die Beratung versuchen und insbesondere
auf das Erb- und Nachfolgerecht blicken.

I. Die Erbrechtsberatung ist für eine potentielle Erblasserin oder einen potentiellen Erblasser regelmäßig
ein ganz besonderes und oftmals auch emotionales Ereignis. Das macht eine fundierte rechtliche
Beratung unverzichtbar. Diese Beratung darf hier aber mehr denn je nicht bei Standardempfehlungen
stehenbleiben, sondern muss die konkrete Angelegenheit mit ihren Sachverhaltsdetails ins Auge fassen.
Daraus wird dann in der Diskussion mit der Mandantschaft eine spezifische Lösung entwickelt. Hinzu
kommt der notwendige Blick in eine mehr denn je ungewisse Zukunft, in der es ggf. adäquat und flexibel
zu reagieren gilt. Das alles erfordert typischerweise mehrere Gespräche, mehrere Entwürfe der angedachten
letztwilligen Verfügung und einiges an Phantasie. Der Beratungsprozess erstreckt sich deshalb
regelmäßig über mehrere Monate.

Das Ergebnis des Errichtungsprozesses, das „fertige“ Testament, kann zwar künftig geändert werden,
sollte aber für den Normalfall doch eine gewisse Haltbarkeit aufweisen.

II. Auch wenn der Erblasser oder Personen aus seinem Umfeld drängeln, weil sie die hier skizzierten Zusammenhänge nicht recht verstehen, sollte der Berater die erforderliche Zeit einfordern und für ein Verständnis der dargelegten Zusammenhänge werben. Auch der denkbar beste Fachmann und Spezialist braucht dabei immer den Mandanten, um den Sachverhalt zu verstehen und ihm dann ausgehend davon eine passende Lösung oder auch mehrere Lösungen vorschlagen zu können.

Die Erfahrung zeigt, dass in so einem Fall typischerweise auch die zu beachtenden „Nebenurkunden“ in einem desolaten Zustand sind, also insbesondere Eheverträge oder Gesellschaftsverträge nebst den zugehörigen Geschäftsordnungen. Auch denen wird oft nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Das erhöht die Komplexität der Beratungsaufgabe noch einmal ganz wesentlich. Tatsächlich findet sich hier oft ein „Investitionsstau“. Was nützt aber das schönste Testamentsgebäude, wenn die grundlegenden Regelungen, auf denen das Gebäude rechtlich fußt, wegen unterlassener Investitionen marode sind?

Die Beraterkunst liegt hier also auch darin, den Mandanten von einem Investment in Form seiner nachhaltigen Mitwirkung und einer angemessenen Zeitschiene zu überzeugen. Das ist schon eine erhebliche
Beratungsaufgabe. Lassen Sie uns aber den Blick noch mehr weiten:

III. Ab und an kumulieren die Ereignisse in bis dahin unvorstellbarer Weise und zeigen einem etwas ganz Grundlegendes. Ich denke, wir haben Anfang Januar 2021 in Washington und Wochen vorher auch in Berlin, dort allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau, gesehen und erlebt, dass wir alle für unseren Rechtsstaat arbeiten müssen. Wir dürfen und wir müssen für unsere Werte und Überzeugungen eintreten und diese begründen. Wir sollten nicht aufgeben zu versuchen und zu überzeugen, aber auch klare Bekenntnisse sind wichtig. Das gilt auch für unsere Beratungsaufgabe. Hier machen wir als Organ der Rechtspflege und/oder der Steuerrechtspflege für unsere Mandanten immer wieder den Rechtsstaat konkret erlebbar.

Ich will in dieser juristischen Fachpublikation nicht politisieren. Andererseits dürfte aber auch klar sein, dass gerade in einer solchen Publikation der Ort für fachliche Bewertungen, Meinungen, Überzeugungen sowie den zugehörigen Begründungen ist. Und damit ist hier auch der Ort für fachliche Diskussionen und fachliche Auseinandersetzungen. Es würde mich sehr freuen, wenn wir dieses Forum auch mehr dazu nutzen würden.

IV. So weit, so gut, mögen sie jetzt sagen, aber was heißt das konkret für meine Beraterpraxis? Ich will versuchen, dass an einigen Praxispunkten zu verdeutlichen:

1. Das vielfach praktizierte „Probesterben“ ist wesentlicher denn je. Wenn, wie vorstehend skizziert, die bisherigen Grundlagen fraglich und die Zukunft noch weniger planbar ist als bisher schon, so wird der Versuch, möglichst genau in die Zukunft zu schauen sowie angedachte Wege und Möglichkeiten konkret zu durchdenken noch wichtiger. Nichts anderes meint „Probestreben“ im Zusammenhang mit Nachfolge- und Erbregelungen. Was bedeutet der angedachte Weg nach geltendem (Steuer-)Recht?
Wie wirkt er sich auf die betroffenen Personen und Sachverhalte nach gegenwärtigem Stand aus? Was ist realistischerweise an Änderungen zu erwarten? Was erscheint als bestdenkbarer Fall und was ist der
„Worst Case“, der möglich erscheint?

Natürlich bleiben da Unsicherheiten wie bei jedem Blick in die Zukunft. Das konkrete Durchspielen bringt aber nicht nur die Erkenntnisse für die Gegenwart, sondern wird auch Wahrscheinlichkeiten für die Zukunft aufzeigen. Für mich habe ich aus dem Vorstehenden zusätzlich die grundsätzliche Erkenntnis gezogen, dass das „Probesterben“ ganz regelmäßig wiederholt werden sollte. Und das nicht nur jedes Jahr
einmal, sondern auch aus gegebenem Anlass bei wesentlichen Gesetzes- und Sachverhaltsänderungen. Auf die Gesetzesänderungen können und sollten wir unsere Mandanten hinweisen. Zu den Sachverhaltsänderungen können und sollten wir regelmäßig nachfragen.

Mehr denn je ist die Nachfolge- und Erbberatung also ein Dauerprojekt und eben nicht nur ein einmaliger Kraftakt. Das können und sollten wir unseren Mandanten verdeutlichen. Es ist wie mit einem Haus, auch das müssen wir dauerhaft in Ordnung halten. Da tragen wir Berater eine erhebliche Verantwortung für unsere Mandanten. Die Erbrechtsberatung wird tatsächlich immer mehr zu einer Dauerbegleitung und Dauerberatung. Darauf müssen wir uns einrichten und das können wir unseren Mandanten anbieten. Dafür ist selbstverständlich eine angemessene Vergütung zu vereinbaren.

2. In diesem Zusammenhang wird auch eine altbekannte Forderung bedeutsamer. Es ist die Forderung nach der Notfallakte, denn sie bildet die Grundlage für den Fall und gibt den Betroffenen bei aller vorstehend  angesprochenen Ungewissheit ein gewisses Maß an Sicherheit. Zumindest ein „Minimal-Programm“ erscheint unverzichtbar. Es fordert nur einen relativ geringen Zeitaufwand. Die Hinterbliebenen sollten u.a. die folgenden Fragen für den geschäftlichen Bereich schnell anhand der Angaben und Unterlagen in der Notfallakte beantworten können:

  • Wo liegt das Testament?
  • Welcher Berater (Anwalt, Steuerberater, persönlicher Freund) weiß Bescheid und kann helfen?
  • Wer ist im Unternehmen oder zu der vermieteten Immobilie der Ansprechpartner (Mitgeschäftsführer,
    Prokurist etc.)?
  • Wer ist sonst noch unverzüglich zu verständigen (Bank, Beirat, Testamentsvollstrecker etc.)?
  • Wer kann sonst helfen und auf wen ist Verlass?

Der private Bereich darf natürlich auch hier nicht vergessen werden. Der häufig einkommenslose bzw. geringer verdienende Ehegatte/Lebenspartner und die Kinder müssen für den Lebensunterhalt einen schnellen Zugriff auf liquide finanzielle Mittel haben. Das ist vor allem wichtig, wenn der Verstorbene nur Teilhaber in einem Unternehmen war oder wenn das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft ist, Entnahmen aus dem Betrieb also nicht ohne weiteres erfolgen können. Hier ist die gegenseitige Bankvollmacht über den Tod hinaus ein Muss!

Zumindest folgende Dokumente und Informationen gehören in die Notfallakte:

Geschäftlicher Bereich

  • Gesellschaftsverträge
  • Handelsregisterauszüge
  • Geschäftsführungsordnungen
  • Vollmachten und Zugangsberechtigungen
  • Berater (Namen, Anschriften, Telefonnummern)
  • Beiratsmitglieder (Namen, Anschriften, Telefonnummern)
  • Bankverbindungen
  • stille Gesellschafter und weitere Darlehensgeber (Namen, Anschriften, Telefonnummern)
  • Versicherungsverträge
  • Mietverträge
  • Leasing-Verträge
  • Grundstücksliste mit Grundbuchauszügen
  • letzter Jahresabschluss
  • Maßnahmenkatalog für die ersten 30 Tage
  • Informationen: Wer ist anzusprechen und zu informieren? Was ist im Unternehmen und privat zu
    veranlassen?

Privater Bereich

  • Testament/Erbvertrag
  • Bankverbindungen
  • Versicherungsansprüche
  • Liste der regelmäßigen Einkünfte/Ausgaben
  • Vermögensverzeichnis
  • Vertrauenspersonen, Testamentsvollstrecker etc. (Namen, Anschriften, Telefonnummern)
  • Mitgliedschaften
  • Liste „Erste Maßnahmen nach dem Todesfall“: Wer ist anzusprechen und zu informieren?

Unerlässlich ist, dass die Familienangehörigen die Existenz und den Verwahrungsort der Notfallakte kennen. Die Akte ist besonders regelmäßig zu aktualisieren und geänderten Verhältnissen anzupassen!
Es liegt auf der Hand, dass wir auch hier unsere Mandanten gerne unterstützen werden. Mit diesen Hinweisen will ich es heute und hier bewenden lassen. Sie mögen als Anregung dienen.

Bleiben Sie auf Abstand, gesund, wohlgemut und hilfreich für die Mandanten!

Herzlichst
Ihr
K. Jan Schiffer