Hausärzte, Berufsbetreuer und vergleichbare Personengruppen als Erben

Eine Skizze zur Umstandssittenwidrigkeit und weiteren Aspekten bei letztwilligen Verfügungen sowie ein Blick auf aktuelle Rechtsprechung mit praktischen Hinweisen

von Rechtsanwalt Dr. K. Jan Schiffer, Rechtsanwalt und VorsorgeAnwalt Frederic Seebohm

AnwZertErbR 3/2024 Anm. 1
AnwZertErbR 9/2024 Anm. 1
AnwZertErbR 12/2024 Anm. 1
AnwZertErbR 14/2024 Anm. 1

>> AnwZertErbR 3/2024 Anm. 1:

Der behandelnde Hausarzt als gewillkürter Erbe? – Eine Skizze zu OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23

von Dr. K. Jan Schiffer, RA und Zert. Testamentsvollstrecker (AGT), Mitglied im Vorstand der AGT e. V.

Quelle: Schiffer, AnwZert ErbR 3/2024 Anm. 1

A. Einleitung

Und führe mich nicht in Versuchung. (Gebet: „Vater unser“)

Besondere Situationen erfordern eine besondere Betrachtung. („Anwaltshandwerk“)

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem
Gesetz ein anderes ergibt. (§ 134 BGB)

Diese drei „Regeln“ gingen mir bei der Lektüre eines Beschlusses des OLG Frankfurt vom 21.12.2023(1)
durch den Kopf. Nach dem Beschluss führt die Erbeinsetzung eines behandelnden (Haus-)Arztes nicht
zur (Teil-)Nichtigkeit eines Testaments. Die OLG-Entscheidung dürfte angesichts einer zunehmenden
Vereinsamung älterer Menschen von allgemeinem Interesse sein, weshalb sie hier in den wesentlichen
Punkten ausführlich betrachtet wird.

B. Zum Sachverhalt

Die Erblasserin war verwitwet und kinderlos und hat mir der Zeit verschiedene handschriftliche Testamente
errichtet, was bekanntlich ein durchaus typischer Praxisfall ist.

In dem hier zu betrachtenden Testament vom 20.09.2021 hatte sie u.a. ihren behandelnden Hausarzt
zu einem Erben i.H.v. 20% eingesetzt. Die letztwillige Verfügung aus 2021 hatte sie dem Arzt zur Bestätigung
ihrer Testierfähigkeit vorgelegt, der einen entsprechenden Vermerk auf dem Testament angebracht
hatte. Nach dem Tod der Erblasserin beantragten der Arzt und zwei weitere Miterben die Erteilung
eines Erbscheins auf der Grundlage dieses Testaments.

Einer der anderen Miterben hat in dem Erbscheinsverfahren das Testament angefochten, weil ein Verstoß
gegen § 32 der Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (§ 32 BO-Ä) vorliege. Die Vorschrift
lautet:

§ 32 Unerlaubte Zuwendungen
(1) Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten oder anderen Geschenke
oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen
oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen
Entscheidung beeinflusst wird. Eine Beeinflussung liegt dann nicht vor, wenn der Wert des Geschenkes
oder des anderen Vorteils geringfügig ist.

(2) Die Annahme von geldwerten Vorteilen in angemessener Höhe ist nicht berufswidrig, sofern diese
ausschließlich für berufsbezogene Fortbildung verwendet werden. Der für die Teilnahme an einer wissenschaftlichen
Fortbildungsveranstaltung gewährte Vorteil ist unangemessen, wenn er über die notwendigen
Reisekosten und Tagungsgebühren hinausgeht.

(3) Die Annahme von Beiträgen Dritter zur Durchführung von Veranstaltungen (Sponsoring) ist ausschließlich
für die Finanzierung des wissenschaftlichen Programms ärztlicher Fortbildungsveranstaltungen
und nur in angemessenem Umfang erlaubt. Das Sponsoring, dessen Bedingungen und Umfang sind
bei der Ankündigung und Durchführung der Veranstaltung offen zu legen.

Außerdem, so wurde vorgetragen, sei die herzkranke und pflegebedürftige Erblasserin testierunfähig
gewesen. Ausgehend davon hat der betreffende Miterbe einen Erbscheinsantrag auf der Grundlage
eines früheren Testaments gestellt.

C. Die Entscheidungen

I. Zur Entscheidung des Nachlassgerichtes in erster Instanz

Das Nachlassgericht hat in erster Instanz beide Erbscheinsanträge zurückgewiesen, denn die letztwillige
Verfügung aus 2021 sei betreffend die Erbeinsetzung des Arztes wegen des Verstoßes gegen § 32 BOÄ
teilnichtig, weshalb keiner der beiden Erbscheinsanträge zutreffend sei. Das wollte u.a. der Arzt nicht
hinnehmen und ließ die Entscheidung überprüfen.

II. Zur zweitinstanzlichen Entscheidung des OLG Frankfurt

Die gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Beschwerde, die u a. der Arzt eingelegt hat,
hatte vor dem OLG Frankfurt Erfolg. Die Erbfolge richte sich, so das Oberlandesgericht, nach dem Testament
vom 20.09.2021. Es bestehen, wie das Oberlandesgericht ausführlich begründet, keine konkreten
Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments testierunfähig
i.S.d. § 2229 BGB gewesen sei.
Betrachten wir das einmal näher!

 1. Verfassungskonforme Auslegung

Das Testament sei entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts insgesamt wirksam und nicht gemäß
§ 134 BGB i.V.m. § 32 der Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (BO-Ä) betreffend die Erbeinsetzung
des Beteiligten zu 2) teilnichtig. Zwar sei § 32 BO-Ä, wie das OLG Frankfurt hervorhebt, als Verbotsgesetz
i.S.d. § 134 BGB anzusehen. Allerdings ergebe eine verfassungskonforme Auslegung, dass
ein etwaiger Verstoß des Arztes nicht die Nichtigkeit der Testierung durch den Erblasser nach sich ziehe.
Der Beschluss des OLG Frankfurt fußt also auf einer (verfassungskonformen) Auslegung, zu der das
Gericht gefunden hat.

Bekanntlich finden wir in der Rechtsmethodenlehre vier klassische Auslegungsmethoden, die auf Savigny
zurückgehen:(2) die grammatikalische Auslegung, die systematische Auslegung, die historische Auslegung
und die teleologische Auslegung.(3) Diese Methoden sind, anders als mancher meinen mag, in der
Praxis durchaus bedeutsam. Das zeigt etwa ein jüngeres Urteil des FG Hamburg vom 26.09.2023(4) aus
einem allerdings ganz anderen Bereich mit der rechtsmethodisch absolut lehrbuchmäßigen Auslegung
eines Gesetzes.

Die hier von dem OLG Frankfurt angesprochene verfassungskonforme Auslegung dient der Auslegung
einfacher Gesetze und Regelungen unter Berücksichtigung unserer Verfassung.(5) Eine Norm, die gegen
das Grundgesetz verstößt, ist bekanntlich nichtig. Diese Auslegungsmethode ist nicht uneingeschränkt
anwendbar, denn sie stößt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG etwa an ihre Grenzen, wenn sie
mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Konflikt gerät.(6)
Auf diese rechtsmethodischen Grundlagen geht das OLG Frankfurt vorliegend leider gar nicht ein.

2. § 32 Abs. 1 BO-Ä als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB

Im Rahmen des § 32 Abs. 1 BO-Ä sei, so führt das Oberlandesgericht vielmehr unmittelbar aus, eine
testamentarische Zuwendung – entsprechend der zu § 14 HeimG entwickelten Grundsätze – als „anderer
Vorteil“ anzusehen, wobei die Zuwendung dann einen Verstoß darstellen könne, wenn diese dem Arzt
bekannt und er mit dieser einverstanden war.(7)

§ 32 BO-Ä sei, wie auch das Nachlassgericht ausgeführt habe, als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB anzusehen.
Nach der Rechtsprechung des BGH können auch Vorschriften berufsständischer Satzungen
von Selbstverwaltungskörperschaften Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB sein. Das habe der BGH für die
Regelung in § 31 der BO der Ärztekammer Westfalen-Lippe(8) und § 8 Abs. 5 der BO für die bayerischen
Zahnärzte(9) bejaht. Die landesgesetzlichen Regelungen beruhten jeweils auf einer einheitlichen Musterordnung,
so dass diese in den Ländern im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmen. Mithin sei auch § 32
BO-Ä als Verbotsgesetz einzustufen. Die §§ 31, 32 BO-Ä stellten beide Konkretisierungen der allgemeinen
Vorschrift des § 30 BO-Ä dar, die auf die Sicherung der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung
gerichtet sind.

3. Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Testierfreiheit

Gemäß § 30 BO-Ä seien Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, in allen vertraglichen und sonstigen beruflichen
Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patientinnen und
Patienten zu wahren. Nach § 31 BO-Ä sei die Zuweisung von Patienten gegen Gewährung von Vorteilen
untersagt. Schutzzweck dieser Vorschrift sei, dass sich der Arzt in seiner Entscheidung, welchem anderen
Arzt er Patienten zuweise, nicht von vornherein gegen Entgelt binde, sondern diese Entscheidung
allein aufgrund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten treffe.(10) Schutzgut der Regelung
in § 32 BO-Ä sei ebenfalls das auf die Ärzteschaft allgemein bezogene Vertrauen in die Freiheit und Unabhängigkeit
ärztlicher Entscheidungen und damit auch das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft
im Allgemeinen.(11)

Es könne dahinstehen, ob dem Arzt ein standesrechtlicher Verstoß gegen § 32 BO-Ä vorzuwerfen wäre.
Zwar habe er Kenntnis von der Erbeinsetzung gehabt, da er auf dem Testament die Testierfähigkeit der
Erblasserin auf deren Wunsch hin bestätigt habe. Darin sei zugleich die Erklärung seines Einverständnisses
zu sehen, so dass er sich einen Vorteil habe „versprechen lassen“. Ob die Zuwendung geeignet
war, den Eindruck zu erwecken, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird,
könne offenbleiben. Ein Verstoß des Beteiligten zu 2) gegen § 32 BO-Ä würde jedenfalls nicht zur Nichtigkeit
des Testaments führen. § 32 BO-Ä könne nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass dieses ein
auch an den Testierenden gerichtetes Testierverbot enthalte. Eine solche Auslegung würde einen unangemessenen
Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit darstellen.

4. Schutzzweck: Grundsätze zu § 14 HeimG nicht übertragbar auf § 32 BO-Ä

Ob der Verstoß gegen das Verbotsgesetz die Nichtigkeitsfolge auslöse, sei durch Auslegung zu ermitteln,
wobei dem Normzweck eine entscheidende Rolle zukomme.(12)

In der Folge betreibt das OLG Frankfurt ersichtlich keine eigene Auslegung, sondern bezieht sich direkt
auf Ausführungen des BVerfG zu § 14 HeimG.

Das BVerfG habe das in § 14 HeimG enthaltene Testierverbot, d.h. das Verbot der testamentarischen
Vorteilsnahme, insbesondere mit dem Schurzzweck der Norm als verhältnismäßige Einschränkung der
Testierfreiheit bestätigt.(13) Die Vorschrift solle gerade auch die Testierfreiheit selbst schützen. Es solle
verhindert werden, dass die Hilf- oder Arglosigkeit alter und pflegebedürftiger Menschen in finanzieller
Hinsicht ausgenutzt werde und das Recht auf freie Verfügung von Todes wegen durch offenen oder
versteckten Druck faktisch gefährdet werde. So solle auch der Heimfriede geschützt werden.
Die zu der Heimpflege entwickelten Grundsätze seien auf die Auslegung der standesrechtlichen Vorschriften
der Ärztekammer nicht in gleichen Umfang übertragbar. Der Schutzzweck des § 14 HeimG
berühre nach der Rechtsprechung des BVerfG die Testierfreiheit selbst. § 32 BO-Ä richte sich an den
Arzt und soll dessen Beeinflussung durch den Patienten – oder Dritte – ausschließen und gewährleisten,
dass der Arzt sich bei seinen Entscheidungen von medizinischen und nicht von finanziellen Erwägungen
leiten lässt. Damit ziele er in erster Linie auf das Verbot der Annahme durch den Arzt ab.

5. Überlegungen zu zweiseitigen Rechtsgeschäften übertragbar?

Die mögliche Nichtigkeitsfolge bei einem zweiseitigen Rechtsgeschäft hänge auch davon ab, ob sich
ein gesetzliches Verbot gegen beide Vertragsparteien oder gegen nur einen der an dem Rechtsgeschäft
Beteiligten richtet. Soweit beide Vertragsteile Adressat der Verbotsnorm sind, ist grundsätzlich von der
Nichtigkeit auszugehen, während bei einem einseitigen Verstoß die Wirksamkeit in der Regel unberührt
bleiben soll.(14)

Das OLG Frankfurt geht hier also zu der „einseitigen“ letztwilligen Verfügung von Überlegungen zu einem
zweiseitigen Rechtsgeschäft aus. Übertrage man diesen Grundsatz (zum zweiseitigen Rechtsgeschäft!)
auf die Testamentserrichtung im Einvernehmen mit dem Erben, schreibt das Oberlandesgericht
ohne eine nähere Begründung, warum das geschehen solle oder dürfe, so sei ausgehend von der Adressierung
der berufsständischen Regelungen an die Ärzte als Mitglieder der Ärztekammer eine Nichtigkeit
der Testierung nicht zu rechtfertigen. Insoweit bestehe auch keine Vergleichbarkeit mit den Regelungen
in § 14 HeimG a.F. bzw. § 6 HBPG, von deren Schutzzweck eben auch die Testierenden erfasst werden
und insoweit Adressat der Regelungen seien. Eine Berufsordnung sei nicht geeignet, einen Eingriff in
die Testierfreiheit außenstehender Dritter zu begründen.

Der letzte Satz mag überzeugen. Seine Herleitung tut das – jedenfalls für mich – nicht wirklich.

6. Fazit des Gerichts: Kein Testierverbot nach verfassungskonformer Auslegung des § 32
BO-Ä

Würde man § 32 BO-Ä auch als gegenüber dem Testierenden wirkendes Testierverbot auslegen, so meint
der OLG Frankfurt weiter, würde diesem zudem die Möglichkeit, ein offenes Testament zu errichten,
versagt werden. Eine Genehmigung der Zuwendung durch die Aufsichtsbehörde sei nicht vorgesehen.
Dann wäre nur eine stille Testierung zulässig. Dies würde bereits eine unverhältnismäßige Einschränkung
der Testierfreiheit begründen.(15) § 32 BO-Ä sei daher verfassungskonform dahin gehend auszulegen,
dass dieses kein Testierverbot gegenüber der ein Testament errichtenden Person enthält und ein
Verstoß des Arztes nicht zur Nichtigkeit des Testaments führt.(16)

7. Auch keine Sittenwidrigkeit

Die Erbeinsetzung des Arztes sei auch nicht als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB anzusehen. Eine Sittenwidrigkeit
könne nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden. Hierfür reiche ein etwaiges
standeswidriges Verhalten nicht aus.

D. Fazit

Die Begründung des OLG Frankfurt überzeugt, wie vorstehend skizziert, rechtsmethodisch nicht wirklich.
Wohl auch deshalb hat das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen. In der Tat
handelt es sich, soweit ersichtlich, um eine bislang noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage.
Bedenkenswert ist aus meiner Sicht generell betrachtet die besondere Vertrauensstellung des Arztes. Er
ist nicht etwa verwandt mit der Erblasserin oder steht ihr persönlich ausweislich der OLG-Entscheidung
ohne seinen Beruf irgendwie nahe.

Wenn das rechtlich de lege lata nicht tragen mag, so kann ein Gedanke von Georg Jellinek(17) ggf. zu
einem angemessene Verhalten in der Praxis verhelfen. In seiner strafrechtlichen Monographie Die sozialethische
Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe (1887; a.a.O.) versteht Jellinek das Recht als
„ethisches Minimum“ einer Gesellschaft. Dieser Gedanke mag auch einem etwaigen künftigen neuen
Gesetz dienen. Der weitere Verfahrensgang wird jedenfalls mit besonderem Interesse zu verfolgen sein.

E. Literaturempfehlungen

OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23.
Beck, Gesetzesauslegung aus methodentheoretischer Sicht, Jura 2018, 330 ff..
Schlehofer, Zwischen Methode und Dezision – Rechtsfindung in Theorie und Praxis in: Freundesgabe der
Juristischen Fakultät für Professor Ulf Pallme König zum 65. Geburtstag, 1994, S. 393 ff.

Fußnoten
1) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23.
2) Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1848, § 33.
3) Näher dazu vgl. etwa Beck, Jura 2018, 330 ff.
4) FG Hamburg, Urt. v. 26.09.2023 – 5 K 11/23, ausf. mit Anm. von Knopp/Bornemann, npoR 2024,
31 ff.
5) Vgl. dazu etwa Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, Vor § 1 BGB Einl. Rn. 42; Eckard,
Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964.
6) Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11 m.w.N.
7) BerufsG Berlin, Beschl. v. 02.06.2015 – VG 90 K 5.14 T – BeckRS 2015, 54659; Plantholz/Rochon,
FamRZ 2001, 270, Ziff. III 2.
8) BGH, Urt. v. 20.03.2003 – III ZR 135/02 – NJW-RR 2003, 1175.
9) BGH, Beschl. v. 09.11.2021 – VIII ZR 362/19 – NJW-RR 2022, 336.
10) BGH, Urt. v. 22.01.1986 – VIII ZR 10/85 – NJW 1986, 2360.
11) Ärztegerichtshof des Saarlandes, Urt. v. 25.08.2010 – ÄGH 1/09 – MedR 2011, 752; Spickhoff/
Scholz, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, § 32 MBO-Ä 1997 Rn. 1.
12) Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 2023, § 134 Rn. 6; Vossler in: BeckOGK BGB, Stand 01.06.2023,
§ 134 Rn. 51.
13) BVerfG, Beschl. v. 03.07.1998 – 1 BvR 434/98 – NJW 1998, 2964.
– Seite 5 von 6 –
14) BGH, Urt. v. 25.09.2014 – IX ZR 25/14 – NJW 2014, 3568.
15) Vgl. zur etwaigen Verfassungswidrigkeit landesgesetzlicher Heimgesetzregelungen ohne Genehmigungsvorbehalt:
Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Aufl. 2019, § 14 HeimG Rn. 7 m.w.N.
16) Ebenso Plantholz/Rochon, FamRZ 2001, 270, 272.
17) Vgl. etwa www.enzyklopaedie-rechtsphilosophie.net/inhaltsverzeichnis/19-beitraege/102-jellinek,
zuletzt abgerufen am 06.02.2024.

 

>> AnwZertErbR 9/2024 Anm. 1:

Hausärzte, Berufsbetreuer und vergleichbare Personengruppen als Erben: Eine Skizze zur
Umstandssittenwidrigkeit und weiteren Aspekten bei letztwilligen Verfügungen (Teil 1)

von: Dr. K. Jan Schiffer, RA und Zert. Testamentsvollstrecker (AGT), Mitglied im Vorstand der AGT e. V.

Quelle: Schiffer, AnwZert ErbR 9/2024 Anm. 1

A. Einleitung

Der Beschluss des OLG Frankfurt vom 21.12.2023 (21 W 91/23) ist vielfach beachtet worden – und das
gerade auch in medizinischen Foren im Netz. Der Verfasser hat die Entscheidung und insbesondere
deren Begründung kritisch betrachtet.(1) Nun ist die OLG-Entscheidung auch in der NJW mit einer Anmerkung
von Holger Kräzschel, Richter am OLG, veröffentlicht worden.(2)

Anlässlich dessen soll die Thematik, insbesondere auch mit einem Blick auf eine weitere aktuelle einschlägige
Entscheidung, noch einmal grundsätzlicher betrachtet werden, stellt sich doch die Frage der
Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen älterer Mitbürger in ähnlich gelagerten Fallgestaltungen in der
Praxis offenbar vermehrt. Das Thema wird für die Praxis bedeutsamer. Das erfordert aus meiner Sicht
ein erneutes Befassen mit praktischem Blick – und das vor allem ausgehend von einer aktuellen, fachlich
beispielhaft eingehend begründeten Entscheidung des OLG Celle, die nachfolgend ausführlich angesprochen
wird.

Erinnern wir uns: Die Erblasserin in dem eingangs genannten Fall des OLG Frankfurt war verwitwet
und kinderlos. In dem streitgegenständlichen Testament hatte sie ihren behandelnden Hausarzt zum
Miterben eingesetzt. Das betreffende Testament hatte sie diesem zur Bestätigung ihrer Testierfähigkeit
vorgelegt. Der Arzt brachte einen entsprechenden positiven Vermerk auf dem Testament an. Einer der
anderen Miterben focht im Erbscheinsverfahren das Testament an, weil ein Verstoß gegen § 32 der
Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (§ 32 BO-Ä) vorliege. Außerdem sei die herzkranke und
pflegebedürftige Erblasserin testierunfähig gewesen.

B. Zur Entscheidung der Nachlassgerichte in erster und zweiter Instanz

I. Kurzskizze

Das Nachlassgericht(3) hatte u.a. den Erbscheinsantrag des Arztes zurückgewiesen. Es hatte dabei auch
ausdrücklich angemerkt, dass dem Hausarzt der ihn betreffende Testamentsinhalt bekannt gewesen ist.
Die letztwillige Verfügung aus dem Jahre 2021 sei betreffend dessen Erbeinsetzung wegen Verstoßes
gegen § 32 BO-Ä teilnichtig.

Die gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Beschwerde, die u.a. der Arzt eingelegt hatte,
war vor dem OLG Frankfurt(4) erfolgreich. Die Erbfolge richte sich, so das Gericht, nach dem betreffenden
Testament. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte zur Testierunfähigkeit der Erblasserin.

Das Testament sei entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts insgesamt wirksam und nicht betreffend
die Erbeinsetzung des Arztes teilnichtig. Zwar sei § 32 BO-Ä als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB an-
zusehen, allerdings ergebe eine verfassungskonforme Auslegung, dass ein etwaiger Verstoß des Arztes
nicht die Nichtigkeit der Testierung durch die Erblasserin nach sich ziehe.

Die Begründung des Oberlandesgerichts überzeugt, wie bereits von dem Verfasser näher begründet(5),
rechtsmethodisch nicht wirklich. Wohl auch deshalb hat das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde
zum BGH zugelassen.

II. Umstandssittenwidrigkeit?

Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 09.01.2024(6) im Zusammenhang mit der Frage nach der Sittenwidrigkeit
eines notariellen Testaments zugunsten einer Berufsbetreuerin entschieden und das ebenso anschaulich
wie umfassend mit der aus seiner Sicht aufgrund der Einzelheiten des fraglichen Falles gegebenen
Umstandssittenwidrigkeit begründet. Die Frage nach der (Umstands-)Sittenwidrigkeit hätte nach
meiner Auffassung auch in dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall aufgeworfen werden müssen.

1. Zur Argumentation des OLG Celle

a) Amtlicher Leitsatz

Das OLG Celle hat zu folgendem instruktiven amtlichen Leitsatz gefunden:

„Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (6 U 22/20, Urteil vom 7. Januar 2021) fest, dass ein (notarielles)
Testament sittenwidrig sein kann, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung
und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf
den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen
Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen (hier: 92-jährige, kranke Erblasserin, nach dem
unmittelbar vor Einrichtung der Betreuung eingetretenen Tod ihrer Tochter ohne Angehörige, testiert
vor einem von der Betreuerin beauftragten Notar zwei Wochen nach Einrichtung der Betreuung zugunsten
der Betreuerin).“

b) Zum Problem der etwaigen Sittenwidrigkeit bei letztwilligen Verfügungen

Mit der Frage nach der Sittenwidrigkeit von (zweiseitigen) Verträgen sind Rechtsanwälte, Gerichte und
Fachliteratur relativ gut vertraut.(7) Bei (einseitigen) letztwilligen Verfügungen ist das ersichtlich nicht
wirklich der Fall.

In dem hier zu betrachtenden Fall hatte das Amtsgericht den Erbscheinsantrag der Berufsbetreuerin
zurückgewiesen, weil das notarielle Testament sittenwidrig sei. Das OLG Celle hat die dagegen eingelegte
Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Es begründete im Einzelnen, warum das Testament
aus seiner Sicht unter Würdigung aller konkreten Umstände des Falles sittenwidrig nach § 138 BGB und
damit nichtig sei, weshalb der beantragte Erbschein für die Berufsbetreuerin nicht erteilt werden könne.
Das hat das Oberlandesgericht mit einem vorbildlichen Blick auf die Eigenheiten des zu entscheidenden
Falles und mit beinahe schon lehrbuchartigen Begründungen getan, die man kennen sollte, wenn man
sich mit entsprechenden Fallgestaltungen befasst.

Das OLG Celle ist ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers zu der Gesamtthematik
bei seiner bisherigen, im Leitsatz angesprochenen Rechtsprechung geblieben. Es geht danach
eben nicht darum, ob es eine allgemeine Wertung gibt, wonach die Erbeinsetzung eines Berufsbetreuers
(objektiv) sittenwidrig ist. Es geht darum, ob im konkret zu betrachtenden Fall Sittenwidrigkeit aufgrund
der Gesamtumstände angenommen werden muss. Dem kann ich mich nur anschließen. Es geht grundsätzlich
um den konkreten zu beurteilenden Einzelfall und um die Gesamtwürdigung der wesentlichen
Umstände eben dieses Falles.

Sittenwidrigkeit könne sich, so das Oberlandesgericht, aus einer Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts
ergeben, in welche Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts einzubeziehen seien.(8) Es sei
nicht allein auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts abzustellen. Zu berücksichtigen seien bei der Prüfung der
Sittenwidrigkeit auch die Umstände, die zur Vornahme des Rechtsgeschäfts geführt haben, wohingegen
das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit und eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich seien.(9)

Die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts könne sich als Umstandssittenwidrigkeit auch aus den Umständen
ergeben, in welche das Rechtsgeschäft eingebettet ist.(10) Zudem verweist das OLG Celle in einer
umfangreichen Begründung zur Möglichkeit der Umstandssittenwidrigkeit auch auf die BGH-Entscheidung
vom 04.07.1990.(11) Der Hinweis, dass die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen nur in besonderen
Ausnahmefällen angenommen werden könne(12), sei für die praktische Rechtsanwendung wenig
hilfreich. In der Tat, denn es kommt auf den Sachverhalt im konkreten Fall an. Die Entscheidung des OLG
Nürnberg vom 19.07.2023(13) überzeuge nicht. Die dortige Kritik an der Rechtsprechung des OLG Celle
beschränke sich im Wesentlichen auf die Feststellung, dass die Entscheidung „in der Kommentierung
und Literatur mit nachvollziehbarer Begründung auf Ablehnung gestoßen“ sei.

Kritisch sieht die Entscheidung des OLG Nürnberg etwa auch Kroiß in seiner Entscheidungsanmerkung.(14)
Unter Hinweis auf Leipold(15) sieht er die Prüfung der Sittenwidrigkeit der dortigen letztwilligen Verfügung
nach § 138 BGB jedenfalls als „möglich“ an.

c) Zur Testierfreiheit und Sittenwidrigkeit

Natürlich geht es hier auch, wie ebenso das OLG Frankfurt (s.o. unter B. I.) in seinem Fall entsprechend
angemerkt hat, um die Testierfreiheit der Erblasserin.

Bestimmendes Element der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als Rechtsinstitut und als Individualrecht gewährleisteten
Erbrechtsgarantie ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG die Testierfreiheit.
Sie diene, so ausdrücklich das BVerfG, ebenso wie das Eigentumsgrundrecht und der in Art. 2 Abs. 1
GG verankerte Grundsatz der Privatautonomie der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben.(16)
Demnach schützt die Testierfreiheit den Testierenden.(17)

Entsprechend betont das OLG Celle, die Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) schütze das Recht des Erblassers,
die Erbfolge selbst durch letztwillige Verfügung weitgehend nach seinen persönlichen Wünschen
und Vorstellungen zu regeln.(18) Nur wenn der Einzelne in der Lage sei, selbstbestimmt zu handeln und
im wirtschaftlichen Bereich eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, können seine letztwilligen
Verfügungen grundrechtlichen Schutz beanspruchen.(19) Dabei könne auch ein Testierverbot Ausdruck
der Testierfreiheit sein.(20) Das entspricht der herrschenden Meinung und ist überzeugend dargelegt.
Die Testierfreiheit des Erblassers, so schreibt das Oberlandesgericht sehr deutlich und klar weiter, werde
nicht durch eine formale Betrachtungsweise geschützt, die letztlich nur darauf hinauslaufe, auf die
nicht widerlegte Testierfähigkeit abzustellen und Umstände außerhalb der Urkunde auszublenden, obwohl
sie Einfluss auf das Zustandekommen und den Inhalt der Urkunde genommen haben. Mit einer
rein formalen Argumentation werde die Testierfreiheit in Fällen wie dem vorliegenden in ihr Gegenteil
verkehrt. Geschützt werden müsse die „faktische Testierfreiheit“.(21)

Dieser überzeugende Hinweis des OLG Celle zu einer rein formalen Argumentation mit der Folge der
Verkehrung der Testierfreiheit in ihr Gegenteil entspricht einem in der Praxis leider häufig anzutreffenden
Vorurteil zu juristischen Argumentationen. Im Kern geht der Hinweis dahin, dass der Sinn und Zweck
der Regel verkannt wird. In dem vorliegenden Zusammenhang überzeugt mich das. Ich wiederhole es
gerne, die Testierfreiheit schützt den Testierenden. Dabei ist der gesamte Sachverhalt zu betrachten.

Formalismus verbiete sich, so das OLG Celle weiter verdeutlichend, anerkanntermaßen im Hinblick darauf,
dass sich in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes eine objektive Wertordnung verkörpere,
die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelte und der vor
allem auch bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln maßgebliche Bedeutung zukomme.
Indem solche Generalklauseln wie § 138 BGB ganz allgemein etwa auf die guten Sitten verweisen, verlangen
sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie
von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden.(22) Dabei gebe es keinen Grund,
die Rechtsprechung zur objektiven Wertordnung der Grundrechte auf Verträge zu begrenzen.(23) Ein Verzicht
auf die Kontrolle des Inhalts und der Abschlussbedingungen von Rechtsgeschäften könne deshalb
nie allein mit dem formalen Verweis auf Grundrechtsbestimmungen begründet werden. Bestätigt(24) sieht
sich das Oberlandesgericht durch ein neueres Urteil des BGH vom 15.11.2022 (X ZR 40/20). Dort heißt
es für einen Schenkungsvertrag, dass sich die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß
§ 138 Abs. 1 BGB nicht nur aus Motiven des Zuwendenden, sondern auch und sogar in erster Linie aus
den Motiven des Zuwendungsempfängers ergeben könne.

Diese Überlegungen lassen sich nach Ansicht des Oberlandesgerichts, der ich aus den o.g. Gründen
ausdrücklich zustimme, ohne weiteres auch auf die Beurteilung von Zuwendungen durch letztwillige
Verfügung übertragen, zu denen der Anstoß vom Zuwendungsempfänger unter Ausnutzung der Situation
des Erblassers ausging.(25)

Vor allem dem Letzteren ist zuzustimmen, denn das Verhalten des Zuwendungsempfängers ist in einem
solchen Fall ersichtlich ebenso entscheidend wie etwa der Anstoß zum Abschluss eines sittenwidrigen
Vertrages durch einen Vertragspartner. Betrachtet man zudem die oftmals vereinsamte Situation älterer
Testierender, so wird zusätzlich deutlich, wie unerlässlich ein genauer Blick auf die konkreten Umstände
der Testierung in jedem Fall ist.

2. Konkreter Hinweis des OLG Celle zu OLG Frankfurt

Konkret zu dem hier erneut zu betrachtenden Beschluss des OLG Frankfurt (s.o. unter B. I.) merkt das
OLG Celle an, ihm liege nur eine Presseerklärung des Gerichts dazu vor. Der Sachverhalt sei, so das OLG
Celle, nicht vergleichbar; die Beziehung zwischen Arzt und Patient unterscheide sich deutlich von dem
Verhältnis zwischen Betreutem und (von dritter Seite ausgesuchtem) Berufsbetreuer. Überdies lasse
sich der Presseerklärung nicht entnehmen, dass § 138 BGB überhaupt geprüft wurde.

Tatsächlich hat das OLG Frankfurt § 138 BGB, wie wir aufgrund der Veröffentlichung nun wissen, nicht
geprüft. Das lässt über die bereits angemerkten rechtsmethodischen Punkte hinaus zusätzlich an dem
Beschluss des Oberlandesgerichts zweifeln.

Das OLG Frankfurt hätte die Frage nach der Umstandssittenwidrigkeit prüfen müssen, denn vorliegend
finden wir vor allem den besonderen Umstand, dass der Hausarzt gerade auf dem Testament, das u.a.
ihn wesentlich bedenkt, die Testierfähigkeit der Erblasserin ausdrücklich bestätigt hat. Nach der Begründung
der erstinstanzlichen Entscheidung war dem Hausarzt bewusst, dass er in dem Testament
bedacht wird. Da liegt doch die Frage nach einem Interessenkonflikt, nach einer persönlichen Befangenheit
und nach einem (ggf. auch nur mittelbaren) Einfluss auf die Erblasserin nahe.

Ist da nicht der Gedanke prüfenswert, dass die Erblasserin dem Hausarzt in einer Art „vorauseilendem
Gehorsam“ als Miterben eingesetzt hat? Liegt da nicht der Gedanke nahe, zu prüfen, ob der Testierfähigkeitsvermerk
auf dem Testament die Erblasserin ggf. von einer späteren Streichung des Arztes aus
ihrer letztwilligen Verfügung abgehalten hat? Dazu lesen wir beim OLG Frankfurt leider gar nichts.

III. Amtsermittlungsgrundsatz
Der Hausarzt war ersichtlich über den Inhalt des Testamentes zu seinen Gunsten informiert. Mithin erscheint
eine ggf. auch nur mittelbare Beeinflussung der Patientin in der Gestaltung des Testaments
durch den Arzt durchaus möglich, wenn nicht sogar zumindest faktisch naheliegend. Das soll ausdrücklich
nicht bedeuten, dass die Patientin und Erblasserin sich die fachliche Bestätigung ihrer Testierfähigkeit
durch den Arzt ggf. vorsorglich regelrecht erkauft hat. Mangels näherer Kenntnis des Verfahrens
wissen wir nicht, wie es tatsächlich war. Ich weiß allerdings, dass das Nachlassgericht vor Erteilung
des Erbscheins nach dem Grundsatz der Amtsvermittlung den Sachverhalt zu ermitteln hat, aus dem
sich das Erbrecht des Antragstellers ergibt. Das folgt aus § 26 FamFG. Zu dem Punkt lesen wir in dem
Beschluss des OLG Frankfurt leider nichts.

Das ist erstaunlich, denn nach § 68 Abs. 3 FamFG gilt, dass das Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht
sich (im Übrigen) nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug bestimmt.
Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder
einzelner Verfahrenshandlungen (nur) absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen
wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Der Amtsermittlungsgrundsatz
bindet also auch das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht.

Das OLG Frankfurt meint aber dennoch beschließen zu müssen, die Entscheidung des Amtsgerichts,
wonach die letztwillige Verfügung betreffend dessen Erbeinsetzung wegen Verstoß gegen § 32 BO-Ä
teilnichtig sein soll, sei mit der simplen und zudem rechtsmethodisch nicht überzeugenden Verneinung
dieses erstinstanzlichen Argumentes abzulehnen. Einen Anlass, im Wege der Amtsermittlung dann konsequenterweise
weitere Punkte wie insbesondere die Frage der Sittenwidrigkeit zu prüfen, sieht das
OLG Frankfurt trotz der oben angesprochenen Besonderheiten des Falles nicht. Das überrascht!

Wohlgemerkt geht es mir hier nicht um ein bestimmtes Ergebnis einer rechtlichen Prüfung durch das
OLG Frankfurt, sondern „nur“ darum, dass hier naheliegende Fragen überhaupt geprüft werden, damit
die Entscheidungsgründe überzeugen können – und das eben vor dem Hintergrund des gesetzlich vorgegebenen
Amtsermittlungsgrundsatzes.

C. Zwischenfazit

Der Beschluss des OLG Frankfurt im Erbscheinverfahren vermittelt den Eindruck, dass das Gericht mit
dem undifferenziert angewendeten Pauschalargument „Testierfreiheit“ und dem Verzicht auf die Prüfung
der Umstandssittenwidrigkeit einer näheren Befassung mit den Besonderheiten des Falls aus dem
Weg gehen wollte. Das kann nicht überzeugen und dient nicht dem Rechtsfrieden, dem eine Gerichtsentscheidung
aber bekanntlich dienen sollte. Hoffen wir auf die Rechtsbeschwerdeentscheidung des
BGH!

(Der Beitrag wird unten fortgesetzt.)

D. Literaturempfehlungen

Leipold, Schutz der Testierfreiheit vor geldgierigen Berufsbetreuern: ein neues Urteil und ein neues
Gesetz (§ 30 BtOG), ZEV 2021, 485.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2023 – 15 Wx 988/23 – ZEV 2023, 821 m. Anm. Leipold.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046 m. Anm. Krätzschel.

Fußnoten
1) Schiffer, AnwZert ErbR 3/2024 Anm. 1.
2) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046 m. Anm. Krätzschel.
3) AG Kassel, Beschl. v. 30.05.2023 – 790 VI 3008/22 S.
4) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23.
5) Schiffer, AnwZert ErbR 3/2024 Anm. 1.
6) OLG Celle, Beschl. v. 11.01.2024 – 6 W 175/23 – ZEV 2024, 175. Die nachfolgend zu den Argumenten
des Gerichts angegebenen Fundstellen sind solche aus dem OLG-Beschluss.
7) Siehe nur Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 138 BGB Rn. 24 ff.
8) BGH, Urt. v. 19.12.1989 – IVb ZR 91/88.
9) Vgl. nur BGH, Urt. v. 07.01.1999 – IX ZR 199/91.
10) Siehe Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, II. Band, 4. Aufl. 1992, S. 372 und etwa
auch Leipold, ZEV 2021, 485. Siehe auch BayObLG, Beschl. v. 18.12.1997 – 1Z BR 73/97, wo dazu
allerdings nicht zu entscheiden gewesen war.
11) BGH, Urt. v. 04.07.1990 – IV ZR 121/89.
12) So auch die Anmerkung von Centner zu OLG Celle, Urt. v. 07.01.2021 – 6 U 22/20 – ZEV 2021,
386, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92, wo sich diese Begrifflichkeit allerdings
nicht findet.
13) OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2023 – 15 Wx 988/23. Kritisch dazu die Anmerkung von Leipold,
ZEV 2023, 821, 823.
14) Kroiß, ErbR 2024, 54 – Anm. zu OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2023 – 15 Wx 988/23, siehe dort
insbesondere auch zu § 30 BtOG, der für Betreuer strenger formuliert ist als § 32 BO-Ä für Ärzte.
15) Leipold, ZEV 2021, 485.
– Seite 6 von 7 –
16) Siehe nur BVerfG, Beschl. v. 14.12.1994 – 1 BvR 720/90 – BVerfGE 91, 346, 358; BVerfG, Beschl.
v. 19.01.1999 – 1 BvR 2161/94 – BVerfGE 99, 341, 350 und BVerfG Beschl. v. 30.08.2000 – 1 BvR
2464/97 Rn. 25.
17) Siehe etwa Leipold in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, Einl. ErbR Rn. 33 (Testierfreiheit als
„Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen“).
18) BVerfG, Beschl. v. 22.03.2004 – 1 BvR 2248/01.
19) BVerfG, Beschl. v. 19.01.1999 – 1 BvR 2161/94.
20) BVerfG, Beschl. v. 03.07.1998 – 1 BvR 434/98 zu § 14 HeimG: „Die [verfassungsgemäße] Vorschrift
soll alte Menschen davor bewahren, dass ihr Recht auf freie Verfügung von Todes wegen
durch offenen oder versteckten Druck faktisch gefährdet wird.“
21) BVerfG, a.a.O.
22) St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 „Lüth“.
23) BVerfG, Beschl. v. 14.02.1973 – 1 BvR 112/65 „Soraya“.
24) Mit Anm. Leipold, ZEV 2023, 821, 823 zu OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2023 – 15 Wx 988/23.
25) So auch Leipold, a.a.O.

>> AnwZertErbR 12/2024 Anm. 1:

Hausärzte, Berufsbetreuer und vergleichbare Personengruppen als Erben: Testierfreiheit
und ihre Grenzen – Ein Blick auf aktuelle Rechtsprechung mit praktischen Hinweisen (Teil 2)

von: Dr. K. Jan Schiffer, RA und Zert. Testamentsvollstrecker (AGT), Mitglied im Vorstand der AGT e. V., Frederic Seebohm, RA und Vorsorgeanwalt

Quelle: Schiffer/Seebohm, AnwZert ErbR 12/2024 Anm. 1

A. Einleitung

Die Frage nach der Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen, Privatautonomie und Testierfreiheit stellt sich
in der Praxis zunehmend, wie nicht nur aktuelle Gerichtsentscheidungen zeigen.1

Im ersten Teil dieses Beitrages wurde ausführlich auf die Testierfreiheit, die Frage der Umstandssittenwidrigkeit
und den Amtsermittlungsgrundsatz eingegangen.2 Eine Leuchtturmfunktion hat dazu bis auf
weiteres der Beschluss des OLG Celle vom 09.01.20243, „dass ein (notarielles) Testament sittenwidrig
sein kann, wenn eine Berufsbetreuerin (…) ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden
Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu
zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.

In dem folgenden zweiten Teil des Beitrags beschäftigen wir uns mit dem Thema ausgehend von einer
richterlichen Anmerkung zu dem Beschluss des OLG Frankfurt vom 21.12.2023.4 Es soll das Bewusstsein
für die Gefährdung der Testierfreiheit in der Praxis geschärft werden. In einem weiteren dritten Teil
werden mögliche praktische Ansätze aufgezeigt.

B. Zum Einstieg: eine Beschlussanmerkung in der NJW

Die im Ergebnis uneingeschränkt zustimmende Anmerkung von Krätzschel, Richter am OLG, zu dem
genannten Beschluss des OLG Frankfurt5 ist ein herausfordernder Ansatz für die praktische Beschäftigung
mit dem Thema. Krätzschel merkt zwar auch kritisch an, das Oberlandesgericht hätte bereits tatbestandlich
feststellen können, dass der Arzt wegen seiner eigenen Erbeinsetzung zur Bestätigung der
Testierfähigkeit seiner Patientin motiviert war. In der Tat, das sehen wir auch so.6 Die wesentliche Frage
ist, ob das Oberlandesgericht diese tatbestandliche Feststellung sogar hätte treffen müssen.

Doch stattdessen habe das Oberlandesgericht „herausgearbeitet“, dass ein Verstoß des Arztes gegen
die Berufsordnung nicht zur Nichtigkeit der Verfügung führe. Krätzschel begründet seine Zustimmung
dazu wie folgt: Zwar sei der Wunsch verständlich, den Erblasser in schwierigen Lebenssituationen
(Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Betreuung) vor unlauterer Einflussnahme Dritter zu schützen. Auch
offenbare sich in entsprechenden Verfügungen von Todes wegen das Bedürfnis der Erblasser, diejenigen,
die „betreuen“ und „sich kümmern“ zu bedenken, also z.B. (adoptierte) Haushaltshilfen, Nachbarn
oder Gärtner. Doch es erscheine zumindest zweifelhaft, ob der Erblasser diesen Personen gegenüber
weniger Druck als gegenüber einem Hausarzt verspüre, sich aus Dankbarkeit erkenntlich zu zeigen.
Positive Testierfreiheit nütze nichts, wenn am Ende durch immer neue Verbote kaum noch „geeignete“
Empfänger übrigblieben.

Dieser Argumentation fehlt auch aufgrund ihrer entlarvenden Wortwahl die Überzeugungskraft. Es ist
nicht nur ein verständlicher Wunsch, den Erblasser vor unlauterer Einflussnahme Dritter zu schützen.

Stattdessen ist es geradezu die Pflicht auch der Rechtsprechung, den Erblasser zu schützen. Insbesondere,
wenn es sich um alte, kranke, hilfebedürftige Menschen handelt, die sich nicht mehr selbst schützen
können. Dieses existenzielle Schutzbedürfnis wird beinahe schon „verächtlich“ gemacht, wenn es
gönnerhaft als verständlicher Wunsch abgewertet wird.

Ferner signalisiert die Formulierung, es „erscheint zumindest zweifelhaft“, dass der Autor selbst nicht
überzeugt ist. Wenn ein Sachverhalt nur „erscheint“, ist er dann überhaupt Wirklichkeit? Soll es ausreichen,
wenn ein Sachverhalt „zumindest zweifelhaft“ ist?

Abgesehen von solchen offensichtlichen Schwächen lautet das zentrale Argument des Autors Krätzschel
sinngemäß: Wenn schon hilfreiche Gärtner und Haushaltshilfen faktisch, gefühlt oder vermeintlich so
viel Druck auf den Erblasser ausüben, dass sie testamentarisch bedacht werden, dann soll das erst recht
für einen Hausarzt gelten dürfen. Dieses Wenn-dann-Argument ist unhaltbar. Soll damit gesagt werden,
dass ein beruflich verursachter Schaden zu akzeptieren ist, weil so viele privat verursachte Schäden
nicht nachweisbar sind? Die Situation ist genau umgekehrt zu betrachten: Weil ein beruflich durch einen
z.B. Arzt, Anwalt oder Betreuer verursachter Schaden leichter erkennbar ist, muss ihn die Rechtsprechung
entsprechend würdigen und das auch, weil diesen Berufsgruppen berufsbedingt erhebliche
zusätzliche Pflichten obliegen.

Die Gärtner-Argumentation krankt auch daran, dass sie die soziale Schicht des Bedachten für relevant
zu halten scheint. Warum wird der Hausarzt mit einem Gärtner und einer Haushaltshilfe verglichen? Soll
einem Akademiker erst recht ein Erbe zustehen, wenn es schon einem Nicht-Akademiker zusteht? Die
Anmerkung Krätzschels wäre im Übrigen vermutlich zu einem anderen Ergebnis gekommen, wäre der
Hausarzt stattdessen mit einem rechtlichen Betreuer verglichen worden.7 Es hätte dann herausgearbeitet
werden müssen, ob der Bedachte ggf. seine besondere Stellung und Verantwortung rechtswidrig
ausgenutzt hat, was dann gerade zu einer Nichtigkeit des Testaments hätte führen können.

Beinahe wertlos erscheint schließlich das überschießende Argument aus der Anmerkung, positive Testierfreiheit
nütze nichts, wenn „am Ende durch immer neue Verbote“ kaum noch „geeignete Empfänger
übrigblieben“. Welche „immer neuen Verbote“ drohen von wem? Warum bleiben keine sog. geeigneten
Empfänger übrig? Der immer bedürftige Fiskus als potenzieller Erbe oder jedenfalls zahllose gemeinnützige
Institutionen stehen bereit. Hier liest sich die Anmerkung wie eine gefühlige Stimmungsmache
ohne juristische Begründung.

Das alles sind überraschende Schwächen in der Argumentation von Krätzschel. In seiner Anmerkung
übersieht er aber vor allem die eigentliche Problematik letztwilliger Verfügungen hilfebedürftiger Erblasser
in anfälligen Konstellationen. Es ist zwar nicht die Aufgabe eines Gerichts, die Qualität der Beziehungen
und die Dankbarkeitsimpulse aller Erblasser grundsätzlich zu prüfen. Es ist allein eine Entscheidung
der Erblasser, aus welchen Gründen sie wen wie bedenken. Erforderlich ist allerdings ein genauer
(richterlicher) Blick bei begründeten Zweifeln, ob der Erblasser tatsächlich wirklich frei testieren
konnte. Es geht um die konkreten Umstände der Testierung und um die Frage, ob die Testierfreiheit
verletzt wurde, weil der Rechtsakt der Testierung rechtswidrig beeinflusst wurde. War beispielsweise
der Bedachte im Sinne einer Beweislastumkehr sogar verpflichtet, alles dafür zu tun, den Erblasser nicht
rechtswidrig zu beeinflussen? Diese entscheidenden Zusammenhänge und Umstände einer Testierung
übergeht Krätzschel in seiner Anmerkung ebenso wie das OLG Frankfurt in seinem Beschluss. Betrachten
wir also einmal näher die Umstände der Testierung!

C. Allgemeine Umstände der Testierung

I. Von den jeweils konkreten Umständen der Testierung sind die allgemeinen Umstände zu unterscheiden.
Welche allgemeinen Lebensumstände prägen die Testierung heute? Und entsprechen diese Umstände
den Umständen, die das Erbrecht des BGB geprägt haben? Wie eine Kuchenform den Kuchen
formt, so formen die jeweiligen Lebensumstände ein neu entstehendes Rechtssystem. So formte auch
die wilhelminische Zeit das BGB und seine Regelungen zur Testierung.8 Dieses allgemein bekannte
Phänomen kann hier nicht in aller Tiefe behandelt werden. Damals erschien es den allermeisten Testierenden
aber jedenfalls völlig selbstverständlich, Ehepartner und eigene Enkel-/Kinder zu versorgen.
Unter anderem das heute durchaus umstrittene9 Pflichtteilsrecht diente dazu, Ausnahmen von dieser
Selbstverständlichkeit zu regeln. Mittlerweile stellt sich die Situation deutlich anders dar: Immer mehr
Testierende leben und denken ersichtlich anders als sie es vor rund 120 Jahren zur Zeit der Entstehung
des BGB taten.

Es wächst der Anteil von kinderlos Testierenden. Immer mehr Testierende leben nicht mehr in einem
groß-/familiären Gefüge, sondern sind vereinzelt und nicht mehr örtlich in Vereinen und Institutionen
eingebunden. Gleichzeitig hat sich das zu vererbende Vermögen gigantisch vergrößert. Schon eine einzige
Immobilie in durchschnittlicher Lage lässt den Wert eines Nachlasses auf mehrere hunderttausend
Euro anschwellen. Hinzu kommt die gestiegene Lebenserwartung. Das hohe Alter geht einher mit dem
deutlich formulierten Anspruch und auch der Möglichkeit, autonom bis zum hoffentlich letzten Atemzug
das eigene Leben zu gestalten.

II. In der Folge „suchen“ Testierende oftmals geradezu händeringend jemanden, dem sie ihr Vermögen
übergeben können: „Ich habe niemanden, dem ich mein Haus vererben kann.“ Deshalb setzen sie immer
häufiger Familienfremde als Erben ein. Solche Familienfremde können gemeinnützige Institutionen
sein. Oder es sind Menschen, die den Lebensweg des Testierenden (vermeintlich) unentgeltlich oder als
Dienstleister begleitet haben. Für diese Begleitung kann das Erbe oder Vermächtnis eine Form von Dank
oder Anerkennung ausdrücken. Eine solche letztwillige Verfügung kann aber auch – sofern frühzeitig
in Aussicht gestellt – dazu dienen, Menschen zu Nähe oder Unterstützung zu motivieren. Der Wunsch
von Testierenden nach menschlicher Nähe wird umso relevanter, je vereinzelter oder vereinsamter sie
leben und je älter, im Alltag abhängig von Hilfe sie werden.

III. Diese Abhängigkeit und Vereinsamung von Testierenden kann die Testierfreiheit eben auch gefährden.
Gegen eine solche Gefährdung könnte die Rechtsordnung im Allgemeinen und das BGB im Besonderen
zwar Schutz bieten, doch ist das Bewusstsein der juristischen und allgemeinen Öffentlichkeit dafür
aus unserer Sicht noch nicht scharf genug. Es fehlen vielfach auch Erfahrungen mit dem Thema.
Das verhindert dann die passgenaue Anwendung rechtlicher Möglichkeiten auf den jeweiligen Einzelfall.
Darauf werden wir im nächsten Teil dieser kleinen Reihe praxisbezogen näher eingehen.

(Der Beitrag wird unten fortgesetzt.)

D. Literaturempfehlungen

OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 = NJW 2024, 1046 – NJW 2024, 1046 m. Anm. Krätzschel,
NJW 2024, 1049.
Leipold, Schutz der Testierfreiheit vor geldgierigen Berufsbetreuern: ein neues Urteil und ein neues
Gesetz (§ 30 BtOG), ZEV 2021, 485.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2023 – 15 Wx 988/23 – ZEV 2023, 821 m. Anm. Leipold.

Fußnoten
1) Vgl. etwa schon Röthel, ErbR 2014, 357: „Wie ‚privatautonom‘ sind Testamente wirklich?“.
2) Schiffer, AnwZert ErbR 9/2024 Anm. 1.
3) OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2024 – 6 W 175/23 – ZEV 2024, 175.
4) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046 m. Anm. Krätzschel, NJW
2024, 1049.
5) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 m. Anm. Krätzschel, NJW 2024, 1049.
6) Schiffer, AnwZert ErbR 9/2024 Anm. 1.
7) Vgl. OLG Celle, Beschl. v. 11.01.2024 – 6 W 175/23.
8) Vgl. Säcker in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2021, Einleitung Rn. 11 ff.
9) Vgl. dazu etwa Hölscher/Mayer in: Mayer pp., Handbuch des Pflichtteilsrechts, 4. Aufl. 2018, § 1
Rn. 3 ff.

>> AnwZertErbR 14/2024 Anm. 1:

Hausärzte, Berufsbetreuer und vergleichbare Personengruppen als Erben: Testierfreiheit
und ihre Grenzen – Ein Blick auf aktuelle Rechtsprechung mit praktischen Hinweisen (Teil 3)

Dr. K. Jan Schiffer, RA und Zert. Testamentsvollstrecker (AGT), Mitglied im Vorstand der AGT e. V., Frederic Seebohm, RA und Vorsorgeanwalt

Schiffer/Seebohm, AnwZert ErbR 14/2024 Anm. 1,

A. Einleitung

Die Frage nach der Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen und damit die Grundfrage nach der Reichweite
von Privatautonomie und Testierfreiheit stellt sich in der Praxis zunehmend, wie nicht nur aktuelle
Gerichtsentscheidungen zeigen.(1)

Im ersten Teil dieses Beitrages wurde ausführlich auf die Testierfreiheit, die Frage der Umstandssittenwidrigkeit
und den Amtsermittlungsgrundsatz eingegangen.(2) Eine Leuchtturmfunktion hat dazu bis auf
Weiteres der Beschluss des OLG Celle vom 11.01.2024, „dass ein (notarielles) Testament sittenwidrig
sein kann, wenn eine Berufsbetreuerin (…) ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden
Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu
zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.“(3)

Ausgangspunkt des zweiten Teils des Beitrags(4) war eine richterliche Anmerkung zum Beschluss des OLG
Frankfurt vom 21.12.202.(5) Wir wollten damit das Bewusstsein für die Gefährdung der Testierfreiheit in
der Praxis schärfen.

Im dritten Teil des Beitrags geht es nun um konkrete Vorschläge: Wie sind Testierungen zugunsten von
Berufsträgern (insbesondere Ärzte, Berufsbetreuer, Steuerberater oder Rechtsanwälte) zu behandeln,
die gegen das Berufsrecht verstoßen?

B. Unzulässige Bevorzugung und Sittenwidrigkeit

I. Eine grundsätzliche Herausforderung bei der Prüfung einer etwaigen unzulässigen Bevorzugung in einem
Testament besteht darin, dass dem Testierenden selbst möglicherweise gar keine Benachteiligung
oder ein Schaden entsteht oder zu entstehen scheint. Ihm könnte es gleichgültig sein, was er mit seinem
Testament anrichtet. Ja, er kann es sogar absichtlich so formulieren, dass es Erben und Nichterben
dauerhaften Streit beschert. Auch das ist Ausdruck der Testierfreiheit!

Sofern es keine Pflichtteilsberechtigten oder Miterben gibt, fehlt es überhaupt an Personen, die durch
eine unzulässige Bevorzugung rechtlich benachteiligt werden könnten. Wäre das Testament ein zweiseitiges
Rechtsgeschäft, könnte die ungerechtfertigt oder unerlaubt benachteiligte Person eine Kompensation
oder Korrektur mit den üblichen Anspruchsgrundlagen einfordern. Wie aber lässt sich ein
einseitiges Rechtsgeschäft korrigieren, durch das ein Berufsträger unzulässig bevorzugt wurde, obwohl
es keine anspruchsberechtigte zweite Person gibt? Während der spezielle Tatbestand des § 138 Abs. 2
BGB ersichtlich nur bei auf einen Leistungsaustausch gerichtete Verträge anwendbar ist(6), könnte eine
testamentarische Bevorzugung im Einzelfall nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, der auch bei letztwilligen
Verfügungen gilt.(7)

II. Im vorliegenden Zusammenhang ist zunächst das Standesrecht im Fokus.(8) Tatsächlich begründet eine
Verletzung von Standesrecht nicht notwendig die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts. Etwas anderes
gilt jedoch, wenn ein Berufsstand wichtige Gemeinschaftsaufgaben erfüllt und der Verstoß gegen
das Standesrecht geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Wahrnehmung
dieser Aufgaben zu untergraben.(9) Dazu schreibt Looschelders sehr plastisch:

Zu den grundlegenden Standespflichten des Freiberuflers gehören die persönliche und sachliche Unabhängigkeit
und die Verpflichtung zur sachbezogenen Wahrnehmung seiner Aufgaben. Rechtsgeschäfte,
welche die Unabhängigkeit oder den Bezug zur eigentlichen Tätigkeit in Frage stellen, begründen Zweifel
an der ordnungsgemäßen Berufsausübung und können deshalb sittenwidrig sein. So widerspricht es
dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft, wenn Rechtsanwälte sich erwerbswirtschaftlich mit Tätigkeiten
befassen, die nicht zu den für einen Rechtsanwalt typischen Geschäften gehören.“(10)

Wenn schon eine für einen Rechtsanwalt untypische Geschäftigkeit zu einer Sittenwidrigkeit eines
Rechtsgeschäfts führen kann, dann gilt dieser Gedanke aus unserer Sicht beispielsweise erst recht,
wenn der Rechtsanwalt eine Testierung zu seinen Gunsten unzulässig beeinflusst.

III. Diesen an sich recht strengen standesrechtlichen Erwägungen steht eine zu beobachtende prinzipielle
Zurückhaltung der Rechtsprechung gegenüber, Testamente für nichtig zu erklären. Diese Zurückhaltung
hat ihre Ursache wohl vor allem darin, dass sich im Einzelfall kaum einmal spezifische Unterlagen
oder sonstige Beweismittel finden lassen und dass sich im Nachhinein so gut wie nie in das Herz und
den Kopf des verstorbenen Erblassers blicken lässt. Damit ist es so gut wie ausgeschlossen, nachträglich
die Motive und Beweggründe des Testierenden zu erforschen, um ggf. eine Sittenwidrigkeit festzustellen.
Das ist ersichtlich ein erhebliches praktisches Problem, denn wird ein einseitiges Rechtsgeschäft
auf seine Vereinbarkeit mit den guten Sitten überprüft, so wiegen die Motive und Beweggründe des
Erklärenden natürlich schwer, ist doch das Rechtsgeschäft als solches (hier: letztwillige Verfügung) in
der Regel für sich genommen neutral.(11)

Mithin erscheinen die meisten Fallkonstellationen, in denen Berufsträger ein qua beruflicher Situation
bestehendes Machtgefälle ausnutzen und eine Testierung zu ihren Gunsten „bewirken“, als rechtlich
nicht mehr korrigierbar.

C. Der Gedanke der sekundären Darlegungslast

Aus dem praktischen Dilemma kann aus unserer Sicht ein Blick auf die zivilprozessualen Regeln zur Beweis-
und Darlegungslast heraushelfen, was wir hier zur vertiefenden Diskussion stellen wollen. Für den
Beweis innerer Tatsachen, d.h. subjektiver Gegebenheiten wie z.B. „Arglist“ oder „verwerfliche Gesinnung“
bei § 138 BGB, gilt ungeachtet der Schwierigkeit des Nachweises nach herrschender Ansicht keine
Beweislastumkehr, es kann aber der Gedanke der sekundären Darlegungslast greifen.(12) Eine Umkehr
der Beweislast erscheint hier in der Tat als überzogen und systemfremd. Steht aber ein darlegungspflichtiger
Kläger, wie etwa derjenige, der eine letztwillige Verfügung wegen Sittenwidrigkeit angreift,
außerhalb des für seine rechtliche Forderung erheblichen Geschehensablaufs und kennt der Beklagte
(hier: Berufsträger) anders als der Kläger alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach den Grundsätzen
der sekundären Darlegungslast das einfache Bestreiten des Beklagten nicht, sofern ihm nähere Angaben
zuzumuten sind.(13) Gelingt in einem solchen Fall ein substanziiertes Bestreiten nicht, gilt die Behauptung
des primär darlegungspflichtigen Klägers trotz mangelnder Substanziierung als zugestanden.(14)

Damit ist das Kriterium der Zumutbarkeit der Darlegung der Schlüssel, um ein Testament, das zugunsten
eines mit dem Testierenden beruflich verbundenen Berufsträgers errichtet worden ist, erfolgreich
– Seite 2 von 6 –
anzugreifen. Aus unserer Sicht ist einem Berufsträger grundsätzlich zuzumuten, die Zulässigkeit seiner
testamentarischen Bevorzugung darzulegen und diese letztlich zu beweisen, wenn er Berufs- und/oder
Standesrecht nachweislich verletzt hat. In der diesem Beitrag zugrunde liegenden Entscheidung des
OLG Frankfurt(15) war ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen,
Stand 30.11.2021(16), unstreitig. Auf das Thema sekundäre Darlegungslast ist das Gericht in dem Fall
dennoch überraschenderweise nicht eingegangen.

Wie aber kann ein Berufsträger die Zulässigkeit seiner testamentarischen Bevorzugung darlegen, obwohl
er gegen das für ihn geltende Berufsrecht verstoßen hat? Auch er kann den Testierenden ja nachträglich
nicht mehr befragen. Die Lösung erscheint uns recht einfach: Der Berufsträger könnte beispielsweise
ein – sinnvollerweise vor Zeugen geführtes – aufklärendes Beratungsgespräch dokumentieren, zu
dem der Mandant/Klient/Patient mit Unterschrift bestätigt, dass er die testamentarische Bevorzugung
des Berufsträgers ausdrücklich will, auch wenn diese einen Verstoß gegen das Berufsrecht bedeutet.
Auf diese Weise wird die Testierfreiheit gewahrt und gleichzeitig geschützt.

Dieser Gedanke passt natürlich nicht, wenn der Berufsträger gar nichts von der letztwilligen Verfügung
zu seinen Gunsten weiß, was er dann ggf. darzulegen hätte. In dem Fall fehlt es allerdings grundsätzlich
schon an der Möglichkeit der Beeinflussung des Erblassers durch den Berufsträger, weshalb der Gedanke
eines Machtmissbrauches grundsätzlich nicht greifen kann. Das ist ersichtlich anders in dem Fall der
diesem Beitrag zugrunde liegenden Entscheidung des OLG Frankfurt.(17)

Wir sind uns darüber im Klaren, dass es hier zahlreiche denkbare Fallkonstellationen gibt, die im Einzelfall
wohl unterschiedlich zu betrachten und zu bewerten sind. Das enthebt das mit der Entscheidung
befasste Gericht aber nicht von der Aufgabe, sich mit dem hier skizzierten Gedanken zu befassen, um
den jeweiligen Fall gründlich auszuloten und so auch die unterlegene Partei im Sinne des anzustrebenden
Rechtsfriedens zu überzeugen.

D. Umstandssittenwidrigkeit durch Machmissbrauch

Was gilt schließlich in denjenigen Fällen, in denen gar kein Verstoß gegen das Berufsrecht vorliegt? Gibt
es dann im Einzelfall möglicherweise zusätzliche Anhaltspunkte dafür, dass der Berufsträger eine subjektive
oder objektive Abhängigkeit seines Patienten/Mandanten/Klienten und deshalb ein Machtgefälle
ausgenutzt hat?

Das ist jeweils genau zu prüfen. Ein Machtgefälle kann durch Gefühle von Schwachheit, Angst und Ohnmacht
beim Testierenden verwirklicht werden. Solche Gefühle haben ihren Ursprung vor allem in subjektiv
wahrgenommenen oder in objektiven Lebensumständen des Testierenden. Vereinsamung, intellektuelle
oder körperliche Überforderung, Krankheit (v.a. Depression und Demenz), finanzielle oder emotionale
Abhängigkeit sind hier wesentliche Prüfpunkte. Ein Machtgefälle ist im Zusammenleben und
Zusammenarbeiten mit alten und kranken Menschen oftmals zwangsläufig. Es wird dann zu einer zu
prüfenden Gefahr, wenn der Machtinhaber den Testierenden unter Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses
zu einem Testament veranlasst, das ihn (unzulässig) bevorzugt. In diesen Fällen kann im
Einzelfall der Tatbestand der Umstandssittenwidrigkeit(18) erfüllt sein.

Armbrüster schreibt dazu in seiner Kommentierung sehr anschaulich und deutlich:

„Auch ohne Macht im Sinne einer Möglichkeit, Druck auszuüben, kann eine Autorität oder Vertrauensstellung
zur unbilligen Ausgestaltung von Verträgen missbraucht werden. In Extremfällen führt dies zum
Sittenverstoß, (z.B. wirtschaftlich abhängige Kinder). Sittenwidrig kann auch die Ausnutzung der sich
aus einer langjährigen Arzt-Patienten-Beziehung ergebenden Vertrauensstellung zum Abschluss eines
dem Arzt vorteilhaften Rechtsgeschäfts sein. Häufig entspricht eine Vertrauensstellung des einen der
persönlichen Bedrängnis des anderen.“(19)

Korrespondiert aber ein Machtgefälle typischerweise mit den besonderen Bedürfnissen von Testierenden,
d.h. vor allem mit dem Wunsch nach Anerkennung, Liebe, Schutz, Versorgung und Anlehnung an
Autorität, kann eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung (etwa in Gestalt von Depressionen oder
Angst- und Panikattacken) zur Unterlegenheit führen. Ihre anstößige Ausnutzung führt dann zur Nichtigkeit.
(20)

Sind solche Extremfälle oder Bedrängnisse des Testierenden nicht offensichtlich, aber immerhin begründet
zu vermuten, so hilft auch in dieser Konstellation der Rückgriff auf die sekundäre Darlegungslast
des Berufsträgers. Er könnte z.B. einen Zeugen benennen, der die Vermutung des Machtmissbrauchs
widerlegt. Eine solche Darlegungslast erscheint uns schon aufgrund der besonderen Stellung des Berufsträgers,
die ja durch das jeweilige Standesrecht ausgeleuchtet wird, auch zumutbar. Es erfordert im
Einzelfall tragfähige Gründe, warum ein Berufsträger über seine entgeltliche Dienstleistung hinaus im
Testament bedacht wird, und das besonders, wenn er sogar in einem viel größeren Umfang bedacht
wird, als er zu Lebzeiten des Testierenden honoriert wurde. In solchen Fällen sehen wir einen besonderen
Anlass, dass ein befasstes Gericht sich dem Amtsermittlungsgrundsatz, so er gilt, nicht verweigert.(21)

E. Zusammenfassung: Ein Prüfschema zur unzulässigen testamentarischen Bevorzugung
von Berufsträgern

Ausgehend von unseren vorstehenden Gedanken sehen wir in „Berufsträgerfällen“ folgendes Prüfschema
der etwaigen Unzulässigkeit einer letztwilligen „Bevorzugung“ von Berufsträgern, wenn sich diese
im Einzelfall nicht schon aus dem Testament an sich ergibt, sondern aus dem Berufsrecht und/oder den
besonderen Umständen der Testamentserrichtung:

  • Geschäftsbeziehung zwischen Testierendem und Berufsträger?
  • Testamentarische Bevorzugung des Berufsträgers?
  • Verstoß gegen Berufsordnung oder Unzulässigkeit wegen Machtgefälle (Gesamtbetrachtung
    – Umstandssittenwidrigkeit?)?
  • Sekundäre Darlegung der Zulässigkeit der Bevorzugung des Berufsträgers?

Was hat das OLG Frankfurt a.M.(22) daran gehindert, diesen Weg zu gehen?

Darüber können wir nur spekulieren. Vielleicht hielt das Gericht eine Entscheidung, die durch Auslegung
den Arzt als (Mit-)Erben „streicht“, für eher angreifbar. Möglicherweise hat das Oberlandesgericht deshalb
nicht nah am Fall, sondern „nur“ ganz grundsätzlich und abstrakt argumentiert, dass die Testierfreiheit
insgesamt in Gefahr sei. Oder hat das OLG Frankfurt einfach nur seine Pflicht zur Amtsermittlung
nicht gesehen und schlicht versäumt, die Frage der sekundären Darlegungslast für den Hausarzt zu
betrachten? Wir wissen es nicht.

Was bleibt?

Aus unserer Sicht sind in entsprechenden Fällen, ganz unabhängig vom rechtlichen Ergebnis, in jedem
spezifischen Einzelfall alle wesentlichen Sachverhalts- und Rechtsfragen im Einzelfall gründlich zu prüfen.
Das ist eine Kernaufgabe für die Gerichte, die im Namen des Volkes entscheiden, aber im Vorfeld
auch für Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege! Das dient gerade in bekanntlich besonders emotional
belasteten und streitanfälligen Erbangelegenheiten dem Rechtsfrieden. Die Lösung liegt eigentlich
immer in dem Sachverhalt des zu betrachtenden Falles.

Wir hoffen, in diesem Zusammenhang mit unseren Ausführungen einen nützlichen Diskussionsbeitrag
geleistet zu haben.

F. Literaturempfehlungen

OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046 m. Anm. Krätzschel.
Leipold, Schutz der Testierfreiheit vor geldgierigen Berufsbetreuern: ein neues Urteil und ein neues
Gesetz (§ 30 BtOG), ZEV 2021, 485.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2023 – 15 Wx 988/23 – ZEV 2023, 821 m. Anm. Leipold.

Fußnoten
1) Vgl. etwa schon Röthel, ErbR 2014, 357: „Wie ‚privatautonom‘ sind Testamente wirklich?“
2) Schiffer, AnwZert ErbR 9/2024 Anm. 1.
3) OLG Celle, Beschl. v. 11.01.2024 – 6 W 175/23 – ZEV 2024, 175.
4) Schiffer/Seebohm, AnwZert ErbR 12/2024 Anm. 1.
5) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046.
6) Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 138 BGB Rn. 66.
7) Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 138 BGB Rn. 11.
8) Vgl. insb. Teil 1 dieses Beitrags: Schiffer, AnwZert ErbR 9/2024 Anm. 1.
9) Vgl. nur Looschelders in: Nomos Kommentar BGB, 4. Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 313 ff.
10) Looschelders in: Nomos Kommentar BGB, 4. Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 314 m.w.N. zur Rechtsprechung.
11) So etwa Armbrüster in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 17.
12) Vgl. dazu etwa Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, Vor § 284 ZPO Rn. 34 ff.
13) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 17.01.2008 – III ZR 239/06 – NJW 2008, 982, 984 m.w.N.
14) Greger in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, Vor § 284 ZPO Rn. 34a.
15) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046.
16) „Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten oder anderen Geschenke
oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen
zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit
der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Eine Beeinflussung liegt dann nicht vor, wenn
der Wert des Geschenkes oder des anderen Vorteils geringfügig ist.“
17) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046.
18) Vgl. Teil 1 dieses Beitrags: Schiffer, AnwZert ErbR 9/2024 Anm. 1.
19) Armbrüster in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 161.
20) Armbrüster in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2021, § 138 BGB Rn. 164.
21) Vgl. auch Teil 2 dieses Beitrags: Schiffer/Seebohm, AnwZert ErbR 12/2024 Anm. 1.
22) OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23 – NJW 2024, 1046.