Editorial 16/2024 – Nachfolgeregelung ohne Enttäuschung?

von Dr. K. Jan Schiffer, RA und Zert. Testamentsvollstrecker (AGT), Mitglied im Vorstand der AGT e.V.

Quelle: Schiffer, AnwZert ErbR 16/​2024 Anm. 1

Erb- und Nachfolgeangelegenheiten sind in der Regel komplex. Fachlich ist das Thema schwierig. So haben schon Flick, Hannes und von Oertzen mit beispielhaftem Blick auf „Prominente Testamente“ (2005) pointiert geschildert, was „die Schönen und Reichen“ bei ihren Testamenten falsch gemacht haben.(1)

I. Fachlich mögen wir die Erb- und Nachfolge durch Fortbildung und auch durch Fachbeiträge zunehmend in den Griff bekommen. Erb- und Nachfolgeangelegenheiten sind allerdings vielfach mit sehr persönlichen Entscheidungen sowie Wertungen und sich daraus ergebenden erheblichen Emotionen verbunden. Häufig sind es Enttäuschungen! Wir haben an anderer Stelle bereits einmal grundsätzlich die Frage juristischer Entscheidungsfindung im Erbrecht mit dem Blick auf Rationalität, Unsicherheit und Emotionalität betrachtet.(2)

II. Jüngst hat der berühmte Bergsteiger Reinhold Messner in einem Interview mit der Fachzeitschrift „Apotheken-Umschau“(3), worüber auch spiegel-online am 22.07.2024 berichtet hat, geschildert, wie sehr er enttäuscht sei. Er habe den Großteil seines Vermögens „vor seinem Ableben testamentarisch“ seinen Kindern überlassen. Die Kinder, so Messner, verstünden nicht, dass alles geschenkt war und schätzten den Wert seiner Großzügigkeit nicht. In dem Moment, als er sein materielles Erbe an die Kinder und die Ehefrau verteilt habe, sei die Familie zerbrochen. Im Vordergrund sei nur die Frage gestanden, wer mehr bekommen habe.

Auch wenn genauere Details in diesem Interview nicht genannt werden, lässt sich doch daraus schließen, dass Messner Senior wohl über eine gescheiterte vorweggenommene Erbfolge berichtet und das in der Öffentlichkeit. Sein Sohn Simon sieht das übrigens, wie u.a. Spiegel Online berichtet hat, anders. Er versteht den Vorwurf nicht und sieht keinen direkten Zusammenhang „zwischen dem Überschreiben der Erbschaft“ und dem Bruch in der Familie.

Diesen Fall will ich hier auch gar nicht näher betrachten und bewerten. Die Erkenntnisse, die Messner Senior schildert und beklagt, sind beispielhaft und uns im Erbrecht tätigen Beratern jedenfalls als Fall-Typ nicht neu. Derartiges erleben wir immer wieder. Bei Geld und Vermögen hört auch in der Verwandtschaft oft die Freundschaft auf. Jahrelange Streitigkeiten bis vor Bundesgerichte über Vermögenswerte und Vermögensbewertungen sind wahrlich nicht selten. Betrachten wir diesen Falltypus also einmal näher.

Warum geben immer wieder Menschen schon zu Lebzeiten wesentliche Teile ihres Vermögens an ihre späteren Erben, d.h. in der Regel an ihre Kinder? Warum beschränken sie sich nicht auf ein sorgfältig erarbeitetes und fachlich begleitetes Testament und setzen ggf. einen Testamentsvollstrecker ein? Warum ist die vorweggenommene Erbfolge noch immer so attraktiv? Warum heißt es, wer mit warmer Hand gibt, der gibt gut? Warum gibt man sich da so viel fachliche Mühe etwa bei den ach so beliebten Nießbrauchgestaltungen?

In der juristischen Fachliteratur(4) findet sich so gut wie keine Antwort auf diese Fragen. Da kann ich nur Antworten aufgrund meiner eigenen Berufserfahrungen versuchen: Möglicherweise wollen die Menschen ihren Kindern helfen. Oder sie wollen Dankbarkeit im wahrsten Sinne noch „erleben“. Im unternehmerischen Bereich ist oft die frühzeitige geordnete professionelle Organisation der Nachfolge ein Thema.(5)

III. Oft habe ich aber auch erlebt, dass es den Menschen ausgesprochen wichtig war, in einer solchen Situation Steuern zu sparen oder möglichst ganz zu vermeiden. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ganz viele Kollegen unendlich viele Aufsätze zum Steuersparen im Zusammenhang mit der Regelung der Erb- und Nachfolge geschrieben haben. Die Fachaufsätze und Sachbücher dazu scheinen mir ganze Bibliotheken zu füllen.(6) Jeder Berater kennt das Thema nur zu gut

Schauen wir etwa auf die in der Praxis immer noch so beliebten Nießbrauchgestaltungen. Es geht hier um etwas, das wir Hybrid-Gestaltung nennen können, denn es geht um die Spaltung eines Vermögensgegenstandes in die Substanz und in ein Nutzungsrecht(7) und das hat in der Fachwelt und der Praxis zahlreiche Ausgestaltungen erfahren: Quotennießbrauch, Vorbehaltsnießbrauch, Zuwendungsnießbrauch, Sicherungsnießbrauch, Vermächtnisnießbrauch und Ertragsnießbrauch, um nur einige Beispiele zu nennen.(8)

Der Grundgedanke ist immer gleich: Ich gebe weg und halte doch oder ich teile letztwillig auf, damit Steuerfreibeträge ausgenutzt werden. Die Hauptproblematik und Hauptfrage dabei ist regelmäßig, wer welche Aufwendungen tragen soll (Unterhaltung der Sache, sonstige Kosten für die Sache). Mir ist hier immer der drastische Fall einer zweiten Ehefrau mit einem Vermächtnisnießbrauch an einer Immobilie des Ehemannes vor Augen. Die zweite Ehefrau sollte in dem „Familienheim“ wohnen bleiben können. Wesentliche Kosten sollte nach der letztwilligen Verfügung dennoch der einzige Sohn aus der ersten Ehe des Ehemannes tragen. Manche Einzelheit dazu war nicht geregelt und/oder missverständlich ausgedrückt. Der Streit der zweiten Ehefrau mit dem Sohn, den der Ehemann und Vater letztwillig zum Eigentümer der Immobilie gemacht hatte, darüber, welche konkreten Kosten betreffend die Immobilie der Sohn in welchem Umfang nicht tragen wollte, endeten erst mit dem Tod der zweiten Ehefrau. Das mag als Praxisbeispiel hier genügen.

IV. Vor dem emotionalen Hintergrund, den auch Messner, den ich eingangs zitiert habe, angesprochen hat, werde ich oftmals gefragt, ob es denn einige ganz grundsätzliche Regeln gebe, die man bei der Regelung der (vorweggenommenen) Nachfolge möglichst beachten solle, denn man wolle ja nicht Streit, sondern „Ruhe und Frieden“ für sich und alle anderen. Ja, antworte ich dann und zähle folgende Punkte auf:

1. In Steuern denken, aber nicht für Steuern lenken.

Dieser Satz, der wohl vom Volksmund geprägt ist, bedeutet hier, dass man sich bei der Regelung seiner Nachfolge nicht vom Gedanken des Steuersparens leiten lassen soll. Sondern stattdessen die hoffentlich gefundene sinnvolle Regelung möglichst steuergünstig ausführt. Das gilt ganz besonders bei der Regelung der Unternehmensnachfolge mit ihren steuerlichen Sonderregeln.

Diesen Punkt schreibe ich hier als erstes, weil sich mir nach langen Jahren des Beratens immer mehr der Gedanke aufdrängt, dass gerade wir Deutschen ein Volk von Steuersparfüchsen sind. Erinnern wir uns noch an den Bestseller mit dem ebenso reißerischen wie verkaufsfördernden und genau betrachtet falschen Titel „1.000 ganz legale Steuertricks“? Das Buch gibt es immer noch!

2. Tatsächlich noch wichtiger ist mir der Gedanke, dass man nur solche Vermögenswerte an seine künftigen Erben schon zu Lebzeiten abgeben sollte, die man unter keinen Umständen in seinem Leben und dem des Partners noch benötigt.

Dabei sollte man eine gute Sicherheitsspanne einrechnen, also etwa davon ausgehen, dass der Partner und man selbst jeweils 110 Jahre alt wird. Zudem sollte man einkalkulieren, dass ein würdiges Leben im Alter nebst Begleitung durch professionelle Kräfte grundsätzlich immer mehr kostet, als man es sich ausmalt. Man denke nur an die Inflation und die Knappheit der Pflegekräfte.

Spiegelberger zitiert dazu plastisch den einstmals weit verbreiteten Grundsatz: „Man zieht sich erst aus, wenn man sich hinlegt.“(9)

3. Schließlich scheint mir auch der folgende „Merksatz“, der mir einmal untergekommen ist, ein guter Hinweis:

„Der reichste Mensch auf dem Friedhof, der dann viel zu vererben hat, ist auch kein gutes Konzept.“

Dazu erkläre ich immer, dass für die Erben zu sparen, also Verzicht für die Erben grundsätzlich kein guter Ansatz ist. Man lebe bitte sein Leben bis zum Ende und das möglichst selbstbestimmt und aus eigenen Mitteln!

4. Bei alledem ist das seit Jahrzehnten von erfahrenen Fachberatern immer wieder empfohlene so genannte „Probesterben“ ein guter Ansatz, um sich dem Thema anzunähern.

Dabei wird der Erbfall zu einem bestimmten realistischen Zeitpunkt (vgl. auch vorstehend Ziffer 2.) betrachtet, in seinen Konsequenzen durchdacht und insbesondere in seinen Steuerfolgen durchgerechnet. Das entspricht dem unerlässlichen gründlichen Businessplan bei einem Start-up.

Diese wenigen Grundgedanken mögen aus Sicht eines Erblassers bei der Regelung, der Nach- und Erbfolge hilfreich sein. Sie mögen zudem als Hinweise durch uns Berater an unsere Mandanten bei einem guten Einstieg in das Thema und einer klaren Kommunikation helfen, bevor wir uns auf fachliche Finessen stürzen. Erfahrungsgemäß dienen diese Gedanken dazu, menschliche Enttäuschungen zu verhindern oder jedenfalls gering zu halten! Erfahrungsgemäß lassen sie sich auch gut gegenüber den Erben kommunizieren, falls das gewünscht ist.

Fußnoten
1) Flick/Hannes/von Oertzen, Prominente Testamente, 2005.
2) Schiffer/Witt, AnwZert ErbR 4/2023 Anm. 2 und AnwZert ErbR 6/2023 Anm. 1.
3) Apotheken-Umschau vom 15.07.2024, S. 66 ff.
4) Etwa bei Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020; vgl. usf. zur vorweggenommenen Erbfolge vgl. etwa Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, 3. Aufl. 2022; ders., Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020.
5) Vgl. etwa auch Wiesehahn, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl., 2020; Schiffer, AnwZert ErbR 5/2022 Anm. 1
6) Jüngst beispielhaft Wälzholz, ZEV 2024, 357 zur „posthumen Freibetragsnutzung“.
7) Vgl. etwa Fleischer in: Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 1 ff.
8) Näher dazu etwa Fleischer in: Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 1 ff.
9) Spiegelberger in: Spiegelberger. Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 2.